Here & There

Auf der Charente, einem der schönsten Wasserwege Europas

Brigitte von Imhof

Für Hausboot-Kapitäne öffnet sich auf dem wenig bekannten französischen Fluss eine charmante Gegend — rund um Cognac.

Er stellt sich als Wayne vor, sagt, dass er aus England kommt und fragt einfach mal, was denn da so unverschämt gut aus unserem Fenster duftet. Nun, das ist ein Coq au vin, den der Hausboot-Kapitän eine gute Stunde zuvor ins Rohr geschoben hat, ein Huhn mit reichlich Knoblauch und Wein versehen. Das haben die Engländer wohl erschnuppert, während sie in der Schleusenkammer, mit zwei weiteren Booten zusammengepfercht, auf die Weiterfahrt warten.

Charente heisst der Fluss im Westen Frankreichs, der durch die Regionen Limousin und Poitou-Charentes auf den Atlantik zufliesst. Die Charente ist eher unbekannt, verglichen mit Rhône, Seine oder Loire. Doch genau dieses Mauerblümchen-Dasein macht die kristallklare Charente so charmant und bezaubernd. Unauffällig schlängelt sie sich durch die Landschaft, breit genug, um den Hausboot-Kapitänen auch bei Gegenverkehr ein entspanntes Navigieren zu ermöglichen. Riesige Trauerweiden hängen weit ins Wasser hinein. Am Ufer grasen mal Kühe, mal Schafe, mal Pferde.

Längst zählt die Charente zu den schönsten Wasserwegen Europas — sie ist nicht ganz so spektakulär wie der Canal du Midi mit seinen Schleusentreppen und mittelalterlichen Brückenbauten, aber nicht minder beeindruckend.

Mit sechs Stundenkilometern

Start ist im Ort Jarnac, gut zwei Zugstunden südlich von Paris gelegen. Und doch scheint man Lichtjahre von der Metropole weg zu sein. Anders als auf manch anderen Hausboot-Flüssen, wo die Schleusen vollautomatisch funktionieren, ist auf diesem Handwerk gefragt. Bei den ersten Schleusen herrscht fröhlich-nervöses Chaos. Irgendwie wissen die Crew-Mitglieder noch nicht so recht, was wann in welcher Reihenfolge zu tun ist. Schleusentor aufkurbeln, einfahren in die Schleuse, Boot festmachen, Schleusentor hinten zukurbeln, Schleusentor vorne aufkurbeln, oder wars umgekehrt?

Die Charente war einst ein wichtiger Transportweg für den berühmten französischen Weinbrand, der nach seinem Herkunftsort Cognac heisst. Entsprechend gross ist die Vorfreude auf die Stadt. Remy Martin, Hennessy, Martell und andere wohlklingende Hersteller haben dort ihren Hauptsitz. Ein Besuch in einer der Destillerien ist willkommene Pflicht.

Schliesslich will man für spontane Besuche von den Nachbar-Hausbooten gerüstet sein, die zur Cocktailstunde gerne mit einer Flasche Wein vorbeischneien. Längst haben sich nette Bekanntschaften entwickelt, man fachsimpelt, versorgt sich mit Ausgehtipps, berät sich über die nächste Etappe, verabredet sich. Die Fahrgeschwindigkeit von maximal sechs Stundenkilometern wirkt sich auch wohltuend auf das eigene Betriebstempo aus.

Saintes ist ein zauberhaftes Städtchen mit erstaunlich schicken Boutiquen und Restaurants. Sehenswert sind die mittelalterliche Kirche Saint-Eutrope und die ehemalige Kathedrale Saint Pierre. In Saint-Savinien ist bereits der Einfluss der Gezeiten zu spüren. Zur Mündung der Charente in den Atlantik wäre es nun nicht mehr weit. Doch die meisten Hausboot-Crews machen hier in Saint-Savinien kehrt, um nicht in Zeitnot zu geraten. Schließlich gilt es noch einige der hochgelobten Restaurants zu besuchen. "La Terrasse" in Saintes etwa, mit seinen Lammspezialitäten, oder das "Coq d'Or" in Cognac, wo man sich in eine Pariser Brasserie Anfang der 1900er-Jahre versetzt fühlt. Am Ufer thronen schlossartige Residenzen. Gepflegte und gut bestellte Blumen- und Gemüsegärten lassen darauf schließen, dass da jemand wohnt.

Zurück am Start-Zielhafen Jarnac haben die Engländer bereits angelegt, kurz darauf sitzen alle beim Cocktail zusammen. Es wird geprostet, geschlemmt, gesungen, gelacht. Und zuletzt macht das Rezept für den Coq au vin die Runde.

Weitere Informationen:
Charterboote auf der Charente: www.leboat.ch
Spezialisten: www.aquatravel.ch, www.tcs.ch, www.marinatravel.ch
Anreise: mit dem TGV) über Paris nach Angoulême und Jarnac. Oder per Flug nach Bordeaux, www.helvetic.com
Hausboot-Revier: Die Charente folgt ihrem geschlängelten Verlauf über 361 Kilometer vom Département Haute-Vienne bis zum Atlantik. Nur die 147 Kilometer von Angoulême bis zum Meer sind schiffbar.
Hausboote: Es gibt Modelle unterschiedlicher Grössen und Ausstattung, von zwei bis zehn Personen. Der Mietpreis pro Woche beträgt zwischen 1175 und 3983 Euro. Es ist kein Bootsführerschein erforderlich, Gäste erhalten zu Beginn der Reise eine technische Einführung.